Erste Ergebnisse aus der Datenbank dialogorientierte Beteiligungsverfahren - dem Forschungsprojekt zur Vermessung der Beteiligungslandschaft in Baden-Württemberg.
Stand: August 2019
Zum Stand dieses Berichtes sind 816 der 1.101 baden-württembergischen Gemeinden (74 Prozent) komplett bearbeitet. Für jede Gemeinde wurden mit Hilfe des oben beschriebenen Verfahrens erhoben, wie viele Ereignisse zu Bürgerbeteiligung (inneralb des Anaylsezeitraums von jeweils drei Jahren) in den Gemeinden stattgefunden haben. Identifiziert werden dialogorientierte Beteiligungsereignisse, die folgender Definition entsprechen:
Dialogorientierte Bürgerbeteiligung ist der öffentliche Austausch von Informationen und Argumenten zu politischen Sachfragen oder Vorhaben von und mit Bürgern in dezidiert eingerichteten Verfahren, Prozessen oder Ereignissen.
Im Folgenden beschreiben wir a) wie häufig entsprechende Beteiligungsereignisse insgesamt stattgefunden haben, b) differenzieren nach Gemeindegrößenklassen und analysieren die Beteiligungsereignisse c) bezogen auf jeweils 1.000 Einwohner. Letzteres erlaubt vergleichbare Aussagen über die Intensität der Bürgerbeteiligung zu treffen, da es zeigt, wie viel Beteiligung "pro 1.000 Einwohner" stattfindet. Auf diese Weise wird zusätzlich die Größe der Kommune herausgerechnet und somit werden unterschiedliche Voraussetzungen, was den Aufgabenumfang und die Aufgabenvielfalt der Kommunen betrifft, berücksichtigt. Von den bearbeiteten Gemeinden verzeichnen 573, also 70 Prozent mindestens ein Beteiligungsereignis im Analysezeitraum von drei Jahren.
Insgesamt fanden in den bearbeiteten Gemeinden über den Analysezeitraum von drei Jahren 2.758 Beteiligungsereignisse statt. In den beiden Kommunen mit den meisten Ereignissen liegen 146 bzw. 109 Verfahren vor, was im Vergleich zu den anderen eine besonders hohe Anzahl darstellt. Daher werden Gemeinden mit über 100 Ereignissen bzw. die Ereignisse selbst von den weiteren Analysen ausgeschlossen, um die Resultate zur Zahl der Ereignisse pro Kommune nicht nach oben zu verzerren. Nach Ausschluss der Ereignisse in beiden Kommunen sind es noch 2.503 Ereignisse. Für die Kommune mit den meisten Ereignissen wurden nun 63 Ereignisse identifiziert. Für alle weiteren Auswertungen werden die Resultate immer immer in Bezug auf ein Jahr berichtet.8
Der Mittelwert (arithmetisches Mittel) liegt bei 1 Beteiligungsereignissen pro Kommune und Jahr (mit einer Standardabweichung von 1,9). Pro Jahr findet in einer Gemeinde also durchschnittlich eine Bürgerbeteiligung statt. Die Verteilung ist hierbei sehr rechtsschief, wie in Abbildung 2 ersichtlich wird. In Verteilung ist hierbei sehr rechtsschief, wie in Abbildung 3 ersichtlich wird. In 243 (30 Prozent) der Kommunen fand kein Ereignis statt, ein einzelnes Ereignis wurde in 175 (22 Prozent) Gemeinden verzeichnet. Demnach haben etwas weniger als die Hälfte der Kommunen zwei oder mehr Ereignisse pro Jahr im Untersuchungszeitraum zu verzeichnen.
Einwohner | Erfasste Kommunen | In % | In % BW gesamt |
---|---|---|---|
<2.000 | 137 | 16.8 | 16.2 |
2.001 - 5.000 | 301 | 37.0 | 36.0 |
5.001 - 20.000 | 302 | 37.1 | 38.4 |
20.001 - 50.000 | 58 | 7.1 | 7.3 |
50.001 - 100.000 | 10 | 1.2 | 1.7 |
>100.000 | 6 | 0.7 | 0.7 |
Ein wichtiger Fakor der Analyse der Beteiligungsereignisse ist die Gemeindegröße. Die meisten Ereignisse fanden in Gemeinden mit 5.001 - 20.000 Einwohnern statt (siehe Abbildung 4). Jedoch ist hierbei zu beachten, dass die Gemeindegröße selbst nicht gleichmäßig über die Gemeinden verteilt ist (siehe Tabelle 1). Teilt man die Anzahl der Beteiligungsereignisse durch die Anzahl der Kommunen der jeweiligen Gemeindegrößenklasse, lässt sich feststellen, dass mit steigender Bevölkerungsgröße auch die durchschnittliche Anzahl der Beteiligungsereignisse pro Gemeinde zunimmt (siehe Abbildung 4). In Kommunen mit weniger als 2.000 Einwohnern finden durchschnittlich 0,4 Ereignisse pro Kommune und Jahr statt, während Großstädte mit über 100.000 Einwohnern im Schnitt 10 Ereignisse pro Jahr erleben.
Im Kontext des Zusammenhangs der Häufigkeit der Beteiligungsereignisse mit der Bevölkerungsgröße ist es sinnvoll, die Zahl der Beteiligungsereignisse pro 1.000 Einwohner zu betrachten. Dieses Maß für Beteiligungsdichte erlaubt die Anzahl von Beteiligungsereingnissen zwischen großen und kleinen Kommunen unabhängig von der Einwohnerzahl zu vergleichen. Über alle Kommunen hinweg finden pro Jahr finden im Schnitt 0,2 Beteiligungsereignisse pro 1.000 Einwohner statt. Betrachtet man nun die Anzahl der Beteiligunsereignisse je Kommune pro 1.000 Einwohner getrennt nach Gemeindegröße, wird eine umgekehrte Verteilung als zuvor ersichtlich (siehe Abbildung @ref(fig:fig3-0-3-mean-bevoelkerung-pro1k)). In Kommunen mit unter 2.000 Einwohnern finden pro Jahr etwa 0,3 Ereignisse pro 1.000 Einwohner statt, in Städten mit über 100.000 Einwohnern dagegen nur 0,1 Ereignisse. Das heißt, dass die Beteiligungsdichte in kleinen Kommunen höher ist als in größeren Kommunen. Der größere Aufgabenumfang und die breitere Aufgabenviefalt, die große Städte im Vergleich zu kleinen Gemeinden haben, lassen eigentlich im Sinne eines Skalierungseffektes mehr Beteiligungsereignissen pro 1.000 EInwohner erwarten, emprisch zeigt sich dieser Zusammenhang jedoch genau umgekehrt.
Die folgenden Analysen geben Auskunft über
Die Themengebiete, zu dem die Beteiligungsveranstaltungen stattfanden,
Die Art der Beteiligung (Information vs. dialogische Beteiligung)
Die Initiatoren
Die Zielgruppe
Den räumlichen Bezug
Sie beziehen sich immer auf den kompletten Analysezeitraum (3 Jahre) vor dem Erhebungszeitpunkt der jeweiligen Kommune. Analysiert werden wie oben a) die Gesamtzahl der jeweils identifizierten Ereignisse, b) ihr Stattfinden pro 1.000 Einwohner und c) ihre Nutzung in Kommunen unterschiedlicher Gemeindegrößenklassen.
Die mit den Beteiligungsereignissen in den Onlinequellen genannten Themengebiete, zu denen die Beteiligungsveranstaltungen durchgeführt wurden, haben wir zu sechs Kategorien zusammengefasst:
Infrastruktur, Stadtentwicklung, Mobilität/Verkehr
Jugend, Sport, Soziales und Kultur
Umwelt/Energie
Migration
Bürgerbeteiligung
ohne klare Festlegung
Sonstiges
Von allen erfassten Beteiligungsveranstaltungen fanden mit 29 Prozent die meisten Beteiligungsereignisse zu den Themen "Infrastruktur, Stadtnentwicklung, Mobilität/Verkehr" statt (vgl. Abbildung 5). Die zweitgrößte Themengruppe beinhaltet Beteiligungsereignisse ohne genaue Festlegung (z.B. Beteiligungsereignissen, bei denen erst vor Ort durch die Beteiligten verschiedene Themen auf die Tagesordnung kommen, oder bei denen eine breites Themenspektrum abgedeckt wird). Ähnlich häufig finden Ereignisse zu "Jugend, Sport, Soziales und Kunst" und zu sonstigen Themen (z.B. Wirtschaft, Finanzen) statt. Immerhin drei Prozent der Ereignisse (insgesamt 77 über die drei Jahre) finden zum Thema Bürgerbeteiligung selbst statt - hier arbeiten Bürger beispielsweise an der Entwicklung von Leitlinien mit oder tauschen sich über mögliche Formen der Beteiligung aus.
Ein anderes Bild zeigt sich, wenn man die Anzahl der Ereignisse pro 1.000 Einwohner betrachtet (siehe Abbildung 6). Hier sind alle Themen außer "Bürgerbeteiligung", "Migration" und "Sonstiges" in ähnlich starkem Umfang vertreten. Die Beteiligungsdichte zu den verschiedenen Themen liegt bei etwa 0,14 Beteiligungsereignisse pro 1.000 Einwohnern und Jahr. Besonders bei den Themen Umwelt und Energie zeigt sich, dass diese Themen pro 1.000 Einwohner relativ wichtiger sind, als in absoluten Zahlen.
In Abbildung 7 findet sich die Darstellung des Themengebietes in Relation zur Bevölkerungsgröße der Kommunen, in welchen das Ereignis stattfand. In Städten mit über 100.000 Einwohnern fanden durchschnittlich 4,7 Ereignisse zum Thema Infrastruktur pro Jahr statt. Die nächstgrößeren Kategorien sind Ereignisse zu sonstigen Themen und ohne klare Festlegung, welche pro Jahr 1,7 mal, bzw. 1,6 stattfanden. Der relativ große Anteil von Ereignissen zu Infrastrukturthemen ist primär in der größten Gemeindegrößenklasse zu beobachten, während das Verhältnis in kleineren Kommunen ausgeglichener ist. Bürgerbeteiligung zu Infrastrukturthemen findet hier nicht häufiger statt als Beteiligungsereignisse zu anderen Themen.
Nicht bei allen identifizierten Beteiligungsereignissen konnte eindeutig ermittelt werden, um welche Art der Beteiligung es sich gehandelt hat, da die in den Veröffentlichungen verwendeten Bezeichnungen stark variieren. Aus diesem Grund unterscheiden wir hier bezüglich der Art der Beteiligung lediglich zwischen zwei Kategorien: Veranstaltungen, die einen eindeutig dialogischen Charakter haben und solchen, die "lediglich" als "Informationsveranstaltung" bezeichnet wurden. Inwieweit bei Letzteren dialogische Elemente vorhanden waren, lässt sich aus den zur Verfügung stehenden Informationen nicht ermitteln.
Die genutzte Methode der Beteiligungsverfahren ist in Abbildung 8 dargestellt. Die größte Kategorie stellen mit 1.692 Ereignissen Dialogveranstaltungen dar, was 68 Prozent aller Ereignisse entspricht. Einen deutlich geringeren Anteil stellen Veranstaltungen dar, die primär dem Zweck der Information gelten. Diese machen mit 811 Ereignissen 32 Prozent der gesamten Veranstaltungen aus.
Auf 1.000 Einwohner betrachtet fanden Dialogveranstaltungen ebenfalls häufiger statt, jedoch ist der Abstand zu Informationsveranstaltungen vergleichsweise geringer (siehe Abbildung 9). Es fanden pro Jahr pro 1.000 Einwohner 0,2 Dialoge und 0,1 Informationsveranstaltungen statt.
Im nächsten Schritt wird die Methode der Beteiligungsverfahren in Bezug zur Bevölkerungsgröße der Kommunen, in welchen sie stattfanden, gesetzt (siehe Abbildung 10). In allen Kategorien überwiegen Dialog- gegenüber Informationsveranstaltungen. Insbesondere in Gemeinden mit größerer Einwohnerzahl trifft dies zu. In Städten mit über 100.000 Einwohnern finden pro Jahr durchschnittlich 2,8 Informations- und 7,4 Dialogveranstaltungen statt, letztere also in etwa 2,6 mal häufiger. In kleineren Gemeinden ist diese Gefälle etwas geringer. Zum Beispiel finden in Kommunen mit über 2.000 bis zu 5.000 Einwohnern im Schnitt 0,2 Informations- und Dialogveranstaltungen pro Jahr statt, was einem Verhältnis von 1 zu 1,7 entspricht.
Außerdem interessiert uns, wer die Auslöser/Initiatoren der Beteiligungsereignisse sind, wobei wir diesbezüglich unterscheiden zwischen den Kommunalverwaltungen (inkl. der Bürgermeister und anderer Behörden/Ämter) sowie die Initiierung durch andere Akteure, zu denen Gemeinderäte/innen, Vereine, Gruppen oder Einzelpersonen gehören können. Diese Unterscheidung ist von Interesse, da aus der participatory Governance-Perspektive meist nur verwaltungsinitiierte Verfahren betrachtet werden. Wir können dagegen zeigen, wie viele Beteiligungsereignisse auch von anderen Akteuren angestoßen werden.
Wie erwartet werden die meisten Beteiligungsereignisse (66 Prozent; N = 548 pro Jahr) durch die Verwaltungen initiiert (vgl. Abbildung 11). Das heißt, es sind zumeist tatsächlich die Bürgermeister, andere kommunalen Behörden/Ämter oder der Gemeinderat, die die Beteiligungsereignisse anregen. Die restlichen 287 Ereignisse pro Jahr (34 Prozent) wurden aber auch durch andere Akteure angestoßen, zum Beispiel durch Vereine, Verbände, Parteien oder Einzelpersonen. Pro 1.000 Einwohner sind es im Schnitt 0,2 Ereignisse pro Jahr, welche von der Verwaltung initiiert werden und 0,1 durch andere Akteure (siehe Abbildung 12).
Die Darstellung des Initiators der Beteiligungsverfahren im Kontext zur Gemeindegröße findet sich in Abbildung 13. In großen Gemeinden bzw. Städten mit über 50.000 Einwohnern überwiegt der Anteil durch die Verwaltung initiierten Verfahren. Während in diesen Bevölkerungskategorien über doppelt so viele Verfahren durch die Verwaltung initiiert werden wie durch andere Akteure, nimmt dieses Gefälle in kleineren Gemeinden deutlich ab. Hier kommen Verfahren mit anderen Initiatoren nahezu gleich häufig vor wie Ereignisse, die durch die Verwaltung initiiert wurden.
Die nächste Auswertung betrachtet die Zielgruppen der Beteiligung. Die Beteiligungsverfahren richten sich zu etwa 72 Prozent an die Bürgerschaft im Allgemeinen oder nennen zumindest keine spezifische Zielgruppe (vgl. Abbildung14). Deutlich weniger Ereignisse haben räumlich oder sachlich Betroffene als Zielgruppe (ca. 17 Prozent). Am seltensten sind bestimmte sozialstrukturelle Gruppen wie Senioren oder Jugendliche das (alleinige) Ziel der Beteiligungsverfahren (11 Prozent). Bezogen auf 1.000 Einwohner waren Bürger ganz Allgemein 0.22 pro Jahr mal das Ziel von Beteiligungsveranstaltungen, während es 0.14 mal räumlich oder sachlich Betroffene und 0.09 mal sozial-strukturelle Gruppen waren (vgl. Abbildung 15).
In den meisten Fällen (ca. 82 Prozent) befand sich die Zielgruppe auf kommunaler Ebene (vgl. Abbildung 16). Etwa 19 Prozent der Ereignisse waren (auch) an Teilnehmende außerhalb der Kommunen gerichtet. Pro 1.000 Einwohner sind 0.21 Ereignisse pro Jahr auf die kommunale Ebene bezogen und 0.13 auf eine überkommunale Zielgruppe (vgl. Abbildung 17).
Die Zielgruppe im Kontext der Gemeindegröße wird in Abbildung 18 betrachtet. Für alle drei Zielgruppen nimmt die Häufigkeit der Ereignisse mit der Gemeindegröße zu, jedoch in verschiedenem Ausmaß. Am stärksten ist diese Zunahme bei Ereignissen mit der Zielgruppe "Bürger allgemein" zu beobachten. In größeren Gemeinden nimmt also die verhältnismäßige Häufigkeit von Ereignissen mit den Zielgruppen "sozialstrukturelle Gruppen" und "räumlich/sachlich Betroffene" im Vergleich zu denen mit "Bürgern allgemein" als Ziel ab.
Weiterführende Literaturempfehlungen: